Das Gemälde ist gewaltig: Fast fünf mal acht Meter misst „Der fruchtbare Halbmond“ von Anselm Kiefer, derzeit zu sehen in der Kunsthalle Mannheim. Über zehn Zentimeter dick ist die Farbe aufgespachelt. Gewaltig ist auch das Thema: Der Turmbau zu Babel, der die Religionen und Sprachen entzweit – Sinnbild für die Entstehung und den Verfall der Kulturen? Zerbröckelnde Ziegel als Symbol für den gegenwärtigen Zustand der Welt? Als „der fruchtbare Halbmond“ wird üblicherweise die Region entlang der Flüsse Euphrat und Tigris bezeichnet, wo einige der ersten heute noch bekannten städtischen Kulturen entstanden.
Anselm Kiefer hat sich in seinen Skulpturen und Gemälden immer mit den ganz großen Fragen beschäftigt, mit Politik, Religion, Mystik, Alchemie und Kosmologie. Bekannt wurde er einer breiten Öffentlichkeit, weil er sich als einer der ersten Künstler der Nachkriegszeit offensiv mit der deutschen Vergangenheit auseinandersetzte.
Die Materialien, in denen er sich Mythen nähert, sind entsprechend suggestiv, archaisch und symbolträchtig, Blei vor allem, aber auch Asche, Holz, Stroh und Leinen. Kiefer, der seit 1993 in Frankreich lebt, widmet sich in seinen Werken immer mehr der Verbindung von jüdischer und christlicher Religion, den Mythen und mystischen Lehren der Weltkulturen. Häufig inspirieren ihn auch Gedichte, etwa von Paul Celan und Ingeborg Bachmann.
Die Kunsthalle Mannheim zeigt aktuell Dutzende seiner Arbeiten aus über dreißig Jahren. Erstmalig werden die Sonnenblumen der Installation „Der verlorene Buchstabe“ vollständig zu sehen sein. Um die teilweise riesigen Werke ausstellen zu können, mussten sämtliche mobilen Trennwände der Kunsthalle entfernt werden. Die vier Säle der Schau sind „Gott & Staat“, „Mann & Frau“, „Tod & Stille“ und „Himmel & Erde“ übertitelt – große Überschriften für die ganz großen Themen. Die Sonderausstellung ist noch bis zum 22. August zu sehen. (Andrea Teupke)
Weitere Informationen:
Anselm Kiefer – Sonderausstellung in der Kunsthalle Mannheim
Bildhinweis: Der fruchtbare Halbmond, 2010, Sammlung Grothe in der Kunsthalle Mannheim © Anselm Kiefer; Foto: Kunsthalle Mannheim; Rainer Diehl